Dienstag, August 26, 2014

WER WARTET HIER AUF WEN?

Samuel Beckett: „Warten auf Godot„























SAMUEL BECKETT war Ire, wie der große JAMES JOICE.
Er wurde 1906 in einer anglo–irischen Upper-Class-Familie in Irland geboren. Die Ahnen der Familie waren französische Hugenotten; unter Ludwig XIV. nach England geflohen, ließen sie sich später im irischen DUBLIN nieder.     
Der Großvater stieg dort zu einem renommierten und einflussreichen Bauunternehmer auf. Er hatte zwei Brüder mit bedeutenden Begabungen, der eine ein Schachspieler von Weltformat, der andere ein Rugby–Champion. Beide Begabungen vererbten sich auf den Enkel Samuel Beckett: Exzellenz in Schach und Cricket.
Die elterliche Familie lebte im feinen Stadtviertel von Dublin, weit abgeschottet von der armen, katholisch–irischen Stadtbevölkerung.
In Becketts behüteter und unbeschwerter Jugend, mit einem älteren Bruder, fallen zwei Eigenarten auf:
– Ein junges englisches Kindermädchen unterhielt die beiden Kinder mit einem unerschöpflichen Schatz an Geschichten. Der kleine Beckett wurde von den Erzählungen früh bewegt.
– Die dunkle Seite war seine unbezwingbare Angst vor der Dunkelheit der Nacht, die das Kind nicht ohne Licht und seinen Teddy im Arm schlafen ließ.
Beide Züge erinnern an seinen berühmten, älteren Zeitgenossen MARCEL PROUST, dessen literarischer Stil dem seinen so diametral entgegengesetzt war. Bei PROUST das Extrem eines verschlungenen, gezierten Schreibstils; bei Beckett die radikalste reduzierte Einfachheit des Ausdrucks mit umstandsloser Wirkung. Marcel Proust, der Epigone einer „Verlorenen Zeit“, Beckett der exemplarische MODERNE.
Samuel Beckett erhielt auf die Initiative der Eltern hin eine hervorragende Ausbildung, wie sie dem englischen Anspruch in Irland entsprach. Vom privaten Kindergarten über eine protestantische Eliteschule bis auf das berühmte TRINITY–COLLEGE in Dublin als Studierender der Sprachen FRANZÖSISCH und ITALIENISCH.
Im TRINITY–COLLEGE schloss er sich einem Philosophieprofessor an, der spezialisiert war auf DESCARTES und BERKELEY.
Wer DESCARTES verinnerlicht, verinnerlicht den radikalen systematischen Zweifel.
Wer von BERKELEY berührt wird, lernt von diesem, dass es eine reale Außenwelt unabhängig von unserer Wahrnehmung gar nicht gibt.
SEIN ist Wahrgenommen werden. („esse = percipi“) BERKELEY meinte, wenn Gott einen nicht sähe, wenn man anderen nicht auffiele, sei es gut möglich, dass man überhaupt nicht existiere.
Diese etwas exzentrische Idee setzte sich in Beckett fest. Sie wurde zu einem quälenden Stachel für sein produktives Leben. Er hatte das Pech, dass er bis zu seinem 40. Lebensjahr mit keiner seiner zahlreichen Produktionen von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Seine Bemühungen um Verleger endeten fast regelmäßig mit Rücksendung seiner Manuskripte. Fand sich hin und wieder ein Verlag, der etwas veröffentlichte, blieben die Exemplare fast unverkäuflich unter den Ladentischen liegen.
Die Verleger fürchteten, sich für BECKETT einzusetzen; BECKETT fürchtete, nicht zu existieren.
(In „GODOT“ sagt Estragon zu Wladimir: “Wir finden doch immer was, nicht wahr, Didi, was uns glauben lässt, dass wir existieren“) 
Der Stachel von BERKELEYS Philosophie saß tief.
Nach mehreren Unterbrechungen, die er für Reisen durch Frankreich und Deutschland verwendete, erwirbt er 1931, mit 24 Jahren, den Master–Titel am Elite–Institut ENS in Paris und folgt mit 25 Jahren einem Ruf als Lektor ans TRINITY–COLLEGE in Dublin.
Die Eltern sind erleichtert. Eine gesicherte, angesehene akademische Laufbahn scheint vorgezeichnet.
Da weicht Beckett aus. Er setzt über in sein geliebtes Frankreich und versucht sich an einem Leben als freier Schriftsteller.
„Ich wollte immer frei sein. Ich weiß nicht warum. Ich weiß auch nicht, was das heißt, frei zu sein. Sie könnten mir die Fingernägel ausreißen, ich könnte es Ihnen nicht sagen. Aber ganz ohne Worte weiß ich, was es ist.“  
Sein freies Leben als Schriftsteller in Paris war reich an literarischen Neu–Kontakten, bedeutend durch Anschluss an den alternden, knurrigen JAMES JOICE, der sein Lebenswerk „ULLYSSES“ fertiggestellt hatte und sich das Lob abrang: “Ich glaube, der junge Mann ist begabt“. 
Aber genau so reich blieb sein Leben an Absagen von Verlegern, Theatern, Rundfunkanstalten für seine Arbeiten.
Das Ausbleiben von öffentlicher Wahrnehmung, geschweige denn Anerkennung, führte Beckett in schwere, wiederkehrende Depressionen, die sich zu unklaren Krankheiten bis zu wochenlanger Apathie, im Bett, steigerten.
Der erste Roman, der einen Verleger, aber kaum Käufer fand (‚Murphy’), beginnt mit dem Satz: “Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues“. 1935 schrieb er an einen Freund, er habe den Glauben an einen Gott vollständig verloren. 1945: „Die einzige Möglichkeit, über nichts zu sprechen, ist, darüber zu sprechen, als ob es etwas wäre.“
Von allen Seiten umlauerte ihn das Nichts.
Verlegern, die andeuteten, er möge doch etwas weniger Pessimistisches schreiben, antwortete er, an Erfolgsgeschichten habe er das Interesse verloren; ihn interessiere nur das Scheitern.   
Das Motto, das ihn immer wieder aus solchen Zuständen rettete, legte er einer seiner Figuren in den Mund: “Versuchen, scheitern; abermals versuchen, abermals scheitern. Und wieder versuchen.“ Das war Becketts Stärke und Triebfeder.
Als die deutsche Armee Mitte 1940 Frankreich überfällt, weicht er nach Vichy aus, um von dort nach Dublin zu gelangen, besinnt sich, fährt nach Paris zurück und stellt sich der französischen Resistance zur Verfügung.
In Lebensgefahr durch Entdeckung geraten, verbarg er sich zwei Jahre in Roussillon, einem Kaff in der Haute Provence bei einem Bauern, zur Feldarbeit. 
Die harte körperliche Arbeit befreite ihn zwar von wieder aufkommenden Depressionen, aber nach der endlichen Befreiung Frankreichs durch die Alliierten gestand er sich ein, mit seinem Leben wieder bei Null zu stehen. Alle literarischen Verbindungen zu den intellektuellen Kreisen in Paris waren zerschnitten. JAMES JOICE war verbittert im Exil gestorben; Freunde waren im KZ umgekommen, in Gefangenschaft verschollen, ihren Kriegswunden erlegen. Becketts finanzielle Lage war desaströs.
Trotzdem gelingt das kaum noch Glaubliche: Der fast mittellose Beckett tritt mit 40 Jahren von 1946 – 1950 in seine fruchtbarste Schaffensperiode.
Dre Romane und seine drei überragenden Theaterstücke entstehen in diesen wenigen Jahren. Er findet einen eigenen, unnachahmlichen Sprachstil der Vieldeutigkeit und der Reduktion.
Den Eintritt in die kulturelle französische Öffentlichkeit schafft das Theaterstück: „WARTEN AUF GODOT“ 
Das Stück war bereits 1948, nach kurzer Arbeitszeit, fertiggestellt, fand aber – wie gewöhnlich – kein Theater, das eine Aufführung riskieren wollte.
1950 wurde ein unabhängiger Theaterproduzent – gestützt auf eine positive Bemerkung des surrealistischen Dichters TRISTAN TZARA über einen „leider unbekannten, schätzenswerten Poeten Beckett“ – aufmerksam und traf sich mit Beckett. Er war von dem Stück „GODOT“ sofort begeistert: „Eine kleine Bühne bräuchte dafür nur vier Personen in Straßenkleidung, ein Scheinwerfer und einen einzelnen Stamm für den Baum!“
Beckett, der Meister der Reduktion, zeigt Eignung für die Theaterpraxis…
Trotzdem dauert es bis zum 2. November 1952 bis zur Premiere in dem kleinen Pariser Theater ‚BABYLON’ (Vier Jahre des Wartens – man kann sich kaum vorstellen, wie viel innere Zähigkeit der mittellose Beckett aufbringen musste).
Am Eröffnungstag war das Theater zum Bersten voll. Am Rive gauche hatte das Gerücht die Runde gemacht, dass es sich bei ‚GODOT’ um ein Ereignis handle, das man keinesfalls versäumen dürfe. Vor Beginn standen die Leute Schlange und die Bediensteten des „Babylon“ mussten aus allen umliegenden Kaffees Stühle ausleihen. Am Ende der Aufführung war die Kritik davon überzeugt, Zeuge eines neuen Theatersterns geworden zu sein. Alle Größen der Zunft waren sich einig, dass SAMUEL BECKETT einer der besten Theaterautoren unserer Zeit sei „und uns an der Hand genommen hat, um uns in ein neues Universum zu führen.“
Beckett hatte sich bei der Premiere in einer der hinteren Stuhlreihen verborgen. Er schreibt: „Die letzte Nacht ist endlich und sicher vorbei. Der erste Akt verlief gut, der zweite weniger gut, der neue Didi vergaß pausenlos seinen Text, während ich in den hinteren Reihen schwitzte. Das Publikum schien es nicht zu stören. Die Beleuchtung war auch schlecht; aber sie soll nächste Woche besser werden. Der neue Pozzo hat sein Engagement gekündigt.“ 
Die NEW YORK TIMES schreibt:
„Beckett erregte Aufmerksamkeit(!) durch einen Erfolg des Skandals. Wenn immer ‚GODOT’ nach seiner ersten Aufführung in Paris gegeben wurde, avancierte er zum Gesprächsthema. War es nicht eine Gräueltat, dass diese Leute aufgefordert wurden, ein Stück zu sehen, das nicht mehr sein konnte als ein Schabernack, in dem nichts, aber auch gar nichts passiert?“
So taub der Kritiker der New York Times gegenüber der Qualität des Stückes erscheint, so richtig beschreibt er, was darin passiert: Nichts.
Mit 47 Jahren hatte Beckett erreicht, wovon er geträumt hatte; Er war berühmt. 
In welches „Neue Universum“ hat uns Beckett geführt? Was ist das Nichts, das in „GODOT“ passiert? Und wer ist „GODOT“?
Mit diesen Fragen wird sich das Folgende beschäftigen.

„WARTEN AUF GODOT“(Stück in 2 Akten mit 4 Personen. Landstraße, 1 Baum, Abend)
Das 1.Wort des Stücks heißt „Nichts“. 
Zwei etwas heruntergekommene Bekannte, WLADIMIR und ESTRAGON, sehen sich, offenbar nach längerer Zeit, wieder.
Estragon sagt: Nichts zu machen’. und bastelt an seinem Schuh herum.
Wladimir kommt angestakst: ‚Ich glaub es bald auch – Ich habe mich lang dagegen gewehrt – Ich sagte mir, Wladimir, sei vernünftig, du hast noch nicht alles versucht. Und ich nahm den Kampf wieder auf’.
Das Thema des Stückes wird in den beiden ersten Auftritten genannt: Es geht um den Kampf gegen das Nichts. Wladimir mahnt sich, den Kampf mit Vernunft zu gewinnen, nicht aufzugeben.
Estragon macht es banaler; er gibt auf, zu wurschteln mit dem Kleinkram der Dinge.
Die beiden versuchen, Wiedersehensfreude herzustellen: Wla: Ich freue mich, dich wiederzusehen. Ich dachte du seist weg für immer. Est: ich auch.Hier fällt gleich zu Beginn Becketts Sprachstil der Doppeldeutigkeit auf. Estragons Antwort: „Ich auch“ kann bedeuten, dass er sich auch über das Wiedersehen freut. Sie kann aber auch bedeuten, dass er schon manchmal gedacht hat, er sei weg für immer. 
Die Wiedersehensfreude verläuft in leicht gereiztes Wortgeplänkel. Die beiden Protagonisten scheinen ein ungleiches Paar zu sein; Estragon bruddelt, Wladimir philosophiert.
Dann schlägt Wladimir ein ganz unerwartetes Thema an:
„Einer von den beiden Schächern wurde erlöst – das ist ein guter Prozentsatz – Gogo…?
Est:  Was?
Wla.: Wenn wir beide bereuen würden … 
Estr. Was? – Dass wir geboren wurden?
Wladimir lacht trocken und kurz: … Hast du die Bibel gelesen?
Est: Die Bibel … ich muss wohl mal reingeguckt haben. Ich erinnere mich an die Karten vom Heiligen Land. Bunte Karten – sehr schön, das Rote Meer war blaßblau. Wenn ich nur hinguckte, hatte ich schon Durst … 
Wla: Was sagte ich noch … ach ja, die Geschichte mit den beiden Schächern … erinnerst du dich?Est:  Nein.
Wla: – soll ich sie dir erzählen?
Est:  Nein.
Wla: Dann vergeht die Zeit – es waren zwei Diebe, die zusammen mit unserem Erlöser gekreuzigt wurden …
Est:  Mit unserem was?
Wla: Mit unserem Erlöser. Zwei Diebe. Man sagt, der eine sei erlöst worden, und der andere … (Er sucht das Gegenteil von „erlöst“ … ) verdammt.
Est:  Ich gehe.
Wla:  – wie ist es möglich, dass … – Ich langweile dich hoffentlich nicht?
Est:  Ich höre gar nicht zu.
Die beiden wenden sich wieder der Spielerei mit dem Schuh zu, bis Estragon sagt:
‚Komm wir gehen’

Damit setzt der entscheidende Refrain ein, der sich im Verlauf des Stückes acht Mal wiederholen wird und das tragende Rückgrad des Werks ist:
Wla: Wir können nicht.
Est:  Warum nicht?
Wla: Wir warten auf Godot.
Est:  Ach ja.
– – – –
Est:  Bist du sicher, dass es hier ist?
Wla: – Was?
Est:  Wo wir warten sollen.
Wla: –  er sagte, vor dem Baum.
Est:  Ist es nicht eher ein Bäumchen?
Wla: Was willst du damit sagen, dass wir uns im Platz geirrt haben?
Est:  Er müsste eigentlich hier sein.
Wla: Er hat nicht fest zugesagt, dass er kommt.
Est:  Und wenn er nicht kommt?
Wla: Kommen wir morgen wieder.
Est:  Und dann übermorgen.
Wla: Vielleicht.
Est:  Und so weiter.
Wla: Das heißt…
Est:  Bis er kommt.

Die Beiden verhaspeln sich bis zur Ermüdung.
Estragon: – Laß uns mal still sein, ja?

Das Zeittotschlagen geht weiter bis Estragon vorschlägt: ‚Sollen wir uns erhängen?’ Das tun sie lieber nicht, weil einer dem anderen den Vortritt lassen will.

Wla: Was sollen wir also machen?
Est:  Garnichts.
Wla: – warten wir also ab, was er uns sagen will.
Est:  wer?     
Wla: Godot 
Est:  Worum haben wir ihn eigentlich gebeten?
Wla: Ja…eigentlich um nichts Bestimmtes –Warst du nicht dabei? 
Est:  –– Und was hat er geantwortet?
Wla: Er werde mal sehen.
Est:  Er könne nichts versprechen.
Wla: Er müsse überlegen…’

Die Dialoge um das Thema ‚Godot’ werden hier ausgiebig zitiert, um verfolgen zu können, wie Beckett, weder respektlos noch engagiert, christliche Vorstellungen profan formuliert.
Der Anreger des Themas ist immer Wladimir; Estragon vergisst alles, seine Anregungen zum Thema sind gleich Null.        
Zwei neue Personen betreten die Szene: POZZO und LUCKY.
Pozzo, ein feister Landedelmann, zerrt seinen Diener Lucky, an einem Strick um den Hals, hinter sich her. Lucky ist mit 2 Koffern, einem Picknickkorb und einem Mantel für Pozzo beladen. Er bricht unter der Last fast zusammen. Wladimir und Estragon betrachten ihn mit Mitleid und Empörung. Sie fragen Pozzo sehr vorsichtig, warum er den Diener behandle wie einen Hund?
Pozzo erklärt ihnen seine Lebensphilosophie: Es sei lediglich Zufall, dass er der Herr, Lucky aber Diener sei; es hätte auch genau umgekehrt kommen können. Er habe eben Glück gehabt; das könne man nutzen.
Spätestens jetzt merkt man, dass Becketts Stück kein Leben schildert, sondern eine Parabel des Lebens ist; ein gedichtetes Gleichnis für ein nach Zufall ablaufendes Leben, in dem gesetzlos offen ist, wie der Mensch sich darin verhält.
(Die Beiden gehen ab.)
Ein Hütejunge erscheint auf der Szene. Er berichtet, zögernd, dass Herr Godot heute nicht komme, aber morgen bestimmt.
Es wird plötzlich Nacht.
(Der Vorhang fällt)

2. AKT (Nächster Tag, gleiche Zeit, derselbe Ort)
Wladimir und Estragon treffen sich wieder. Estragon hat alles von gestern vergessen.
Wladimir drängt in ihn:
Erkennst du die Stelle nicht wieder?
Estragon wütend: Wiedererkennen? Ich bin mein ganzes beschissenes Leben lang im Dreck herumgekrochen. Und da verlangst du, dass ich Nuancen sehe!
Sie spielen dümmliche Spiele mit den Hüten, mit einer Rübe, Verstecken hinter dem Baum und reden wie Verrückte.
Estragon, hält an:
Glaubst du, dass Gott mich sieht?
Wla: Man muss die Augen zumachen.
Estragon (brüllt):
– Gott hab Erbarmen mit mir!
Wla: – und mit mir?
Est:  Mit mir! Mit mir! Erbarmen mit mir! Beide fallen auf die Knie.

POZZO und LUCKY treten wieder auf.
Pozzo ist erblindet und nur noch sein Schatten. Lucky, am Strick und beladen wie vorher, ist stumm geworden.
Pozzo stürzt und bettelt ihm aufzuhelfen, bietet 2 Mark, 3, dann 4 Mark dafür!
Wla: Wir langweilen uns, wir langweilen uns zu Tode, das ist nicht zu leugnen. Gut. Hier bietet sich eine Gelegenheit. Los, an die Arbeit! (Er geht auf Pozzo zu … bleibt stehen … ) – Im nächsten Moment wird alles verschwinden und wir werden wieder allein sein ,inmitten der Einsamkeiten!’

Pozzo: Erbarmen!
Wla: Wir sind schon da!
Pozzo: Wer sind Sie? 
Wla: Wir sind Menschen.
Pozzo: Erbarmen! 
Wla: das ist schon wieder dieser Scheiß–Pozzo!
Est:  Er soll die Schnauze halten! Gib ihm eins in die Fresse!
Wladimir schlägt zu.

Estragon ist eingeschlafen, Wladimir weckt ihn.
Est:  Warum weckst du mich?
Wla: Ich fühlte mich einsam.
Est:  Ich träumte, ich sei glücklich.’

Glücklich kann der Mensch bei Beckett offensichtlich nur im Traum sein. Man kann Beckett nicht gerne lesen. Er beschreibt das Erbärmliche im Leben. Er packt dabei derart fest zu in dem Unrat, in dem wir uns auflösen, dass einem die Lust an der Kunst vergeht. Aber er kommt damit dem tatsächlichen Leben sehr nah.

Der Junge von gestern taucht wieder auf:
‚Er kommt nicht, heute Abend. – Aber er wird morgen kommen. Bestimmt.’
Wla: Trägt er einen Bart, der Herr Godot?
–  Ja  –
Wla: … blond oder – schwarz … oder rot?
Junge, zögernd: … Ich glaube, – er ist weiß.
Wla: Barmherzigkeit!

Estragon wacht wieder auf:
Habe ich lange geschlafen?
Wla: Ich weiß nicht.
Est:  laß uns weggehen von hier.
Wla: Wir können nicht.
Est:  Warum nicht?
Wla: wir müssen morgen wiederkommen.
Est:  warum?
Wla: Um auf Godot zu warten.
Est:  – ist er nicht gekommen?
Wla: Nein

Die Beiden betrachten den Baum. ‚Sollen wir uns aufhängen?’
Estragon zieht den Strick heraus, der seine Hose hält.
Wla: Der taugt nichts.
Est:  Du sagtest, dass wir morgen wiederkommen müssen.
Wla: Ja.
Est:  Dann bringen wir einen guten Strick mit.
Wla: Morgen hängen wir uns auf. – es sei denn, dass Godot käme.
Est:  Und wenn er kommt?
Wla: – sind wir gerettet.
Est:  Ich kann nicht mehr so weitermachen.
Wla: das sagt man so…
Est:  – Also, gehen wir?
Wla: Zieh deine Hose rauf.
Est:  Wie bitte?
Wla: Zieh deine Hose herauf!
Est:  Ach ja.
Wla: – Also wir gehen?
Est:  Gehen wir!’

–  Sie rühren sich nicht von der Stelle –
( E N D E )

Mit den banalsten Sprach–Brocken wird das Stück in genialer künstlerischer Reife zu Ende gebracht. Die Lebensparabel ist geschlossen: Einsamkeit, tödliche Langeweile, sinnlose Zielsuche, starre Hoffnung auf Rettung. „Ils ne bougent pas.“ 
Voller Respekt ist die Bühnen–Ausstattung zu bewundern, die Beckett vorschreibt: NICHTS ist auf der Bühne, nur ein Stück Landstraße und ein kahler Baum.
Die geniale Idee: Der Baum ist die Metapher für die ganze Geschichte der Menschen. Mit dem Baum des Paradieses fing alles an, als der noch die verführerischsten Früchte trug.
Heute, in unserer Zeit, ist er dürr und abgestorben.
BECKETT sieht es so.

Die Landstraße in der Wüstenei, auf der, wie Estragon erzählt, öfter Überfälle stattfinden, ist die Metapher für den Lebensweg. Hier kann eine der anfangs gestellten Fragen ansetzen. In welches ‚Neue Universum’ führt uns BECKETT mit dem Stück?
Das Neue betrifft wohl weniger die IDEE des Stücks: Der alleingelassene Mensch in einer Sinn– und Führungslosen Welt. Diese Idee liegt 1948 in der Luft. Die denkenden Köpfe in Paris, angeführt von SARTRE, formulieren den EXISTENZIALISMUS.
Das Neue ist wohl eher die FORM, eine unliterarische Literatur–Sprache, die BECKETT erfindet.
Die bedeutendsten Fragen des Menschen kleidet Beckett in die banalste Umgangssprache, die wir sprechen, wenn wir uns gar keine Mühe geben. Mit dieser rabiaten Reduktion rückt Beckett die Fragen heraus aus der Literatur, an uns heran, und damit können sie uns treffen.
Das ist „modern“, d.h. unserer veränderten Zeit angemessen.
Mit Beginn des 20. Jh. und seinen Weltkriegen war die FORM eines Kunstwerks im Interesse weit vor den INHALT gerückt. Der Inhalt war klein, verdächtig, oft verächtlich geworden; denn der Inhalt der Kunstwerke früherer Jahrhunderte war der ‚große’ Mensch. Für den war an Achtung nicht viel übrig geblieben. Die Kunst wendet sich den FORMEN zu, um auszuprobieren, womit sie Wirkung ausüben kann.
Die reduzierte Form einer Alltagssprache, die Beckett erfindet, hat Wirkung. Sie drängt uns Becketts Sicht der menschlichen Situation umstandslos auf.
Zwei spätere Stücke von Beckett, „ENDSPIEL“ und „GLÜCKLICHE TAGE“, treiben diese Wirkung auf die Spitze. Was Beckett dort mit Bildern der menschlichen Erbärmlichkeit beschreibt, kann das seelische Gleichgewicht des Lesers durcheinander bringen, weil es wahr ist.
Statt wie in „GODOT“ auf einer wüsten Landstraße leben in „ENDSPIEL“ zwei alte Menschen in zwei Mülltonnen, deren Deckel einfach zugeklappt werden, wenn die beiden lästig fallen.
Die Drastik von Beckett ist überzeugend.  

Nächste Frage: WER ist Godot? Es gab viele, tiefsinnige bis groteske, Interpretationen. Die Spekulationen gehen weiter, weil das Stück nichts bestätigt.
Eine der ernsthaften Auslegungen lautet: GODOT ist GOTT.
Etymologisch stützt das englische Wort „God“ diese Interpretation.  Es ist nur ein kleiner Schritt der Verfremdung von dem Namen ‚Godot’ zu der Bedeutung „God“, durch Abstreichen von einer Silbe.
Gegen diese Auslegung steht die irreligiöse Haltung des abgrundtief pessimistischen Beckett.
Beckett selbst hat sich beharrlich geweigert, Interpretationen zu seinen Stücken abzugeben. Er war der wortkarge Einzelgänger. Den Fragen nach der Bedeutung der christlich–biblischen Bezüge im Stück widersprach er: „Das Christentum ist eine Mythologie, mit der ich sehr vertraut bin, weshalb ich sie oft benutze. Aber nicht in diesem Fall.“
Die lapidare Regieanweisung am Ende des Stücks – „Ils ne bougent pas“ – lässt sich trotzdem nicht anders lesen als das Paukenschlagähnliche Schlussurteil: Die Menschen können nicht anders als weiterhoffen auf Rettung – Durch wen? Da müsste der Titel des Stücks zu Hilfe genommen werden –
Beckett beendete schließlich alle Spekulationen um die Deutung des Namens ‚Godot’ mit der Feststellung: „Wenn ich wüsste, wer Godot ist, hätte ich es in dem Stück gesagt.“
Richtiger kann eine Aussage nicht sein.
Gelesen unter der Auslegung, die der Titel andeutet – „God“ = Gott – hat Beckett gesagt, was für alle und für immer gilt: Wer kann je wissen, wer Gott ist.
Dieses Problem aller Religionen hat keine Religion gelöst. Ihnen bleibt der Verweis auf den Glauben. Vorstellungen, ein Bild von Gott, ist Stoff der Mythologien. Darauf bezieht sich auch Beckett, wenn er sagt, dass ihm „die Mythologie des Christentums sehr vertraut“ sei. 
Hier ist daran zu erinnern, dass Beckett aus einer Familie von Hugenotten stammt. Deren Glaubensgrund ist die Möglichkeit einer persönlichen spirituellen Kontaktaufnahme mit einem gesprächsbereiten Gott. Erinnert das nicht irgendwie an Wladimirs Bemühungen um den Herrn Godot?
Wladimir fragt den Hütejungen: „Trägt er einen Bart, der Herr Godot?“       
Der Junge, zögernd: „Ja. – Ich glaube, er ist weiß.“
Wladimir: „Erbarmen!“
Was ist dieser Ausruf anderes als ein plötzlicher Schreck über die Deckungsgleichheit mit seiner Kindheitserinnerung an den lieben Gott mit dem weißen Bart. Wo ist Wahrheit.
Beckett ist ein philosophischer Kopf, ein denkender Zweifler. Einer, der seinen Glauben an einen Gott verloren hat, wie er dem Freund schreibt. Fetzen davon sind geblieben. Beckett ist kein systematisch ungläubiger Denker wie SARTRE oder CAMUS. Ihm erscheint die Welt zwar ebenso führungslos und sinnlos unaufgeräumt wie Sartre oder Camus. Von daher kann man die christlich–biblischen Wendungen in Becketts Stück auch als Farcen oder als Drolerien lesen.
Aber dann übersieht man, dass das Stück aus der Spannung zwischen zwei gleich starken Polen lebt:
–  Wir langweilen uns. Nein, widersprich mir nicht, wir langweilen uns zu Tode.
–  Ja, in dieser ungeheuren Verwirrung ist eines klar: Wir warten darauf, dass Godot kommt’

Tödliche Langeweile gegen Warten auf Rettung.
Was bedeutet „tödliche Langeweile“ in Becketts Stück? Ist sie eine Erscheinung bei den Menschen der Nachkriegszeit, als Becketts Stück entstand, und ist dieses Thema heute überholt?
Im Vergleich mit unserer Gegenwart könnte man tatsächlich annehmen, dass sich die Nachkriegsgenerationen, abgesehen von ihren Nöten um den Broterwerb, oft gelangweilt haben, ohne Fernsehen, ohne Handy, ohne Internet. Das Unterhaltungsangebot unserer Zeit ist in einem unvergleichlichen Maß angestiegen. Langeweile bräuchte heute kein Thema mehr zu sein.
Sie ist es aber doch; denn Langeweile aus Mangel an Unterhaltung ist Becketts Thema nicht. Die „tödliche Langeweile“ in seinem Stück betrifft den Mangel an Sinn im Menschenleben. Eine Aussicht ist verloren gegangen.
Diese Aussicht „in der ungeheuren Verwirrung“ ist Godot. („und wenn er kommt? – Sind wir gerettet.“)  
Ein „Ja“ für eine Rettung steht im Stück gegen ein „Nein“. Am Ende des Stücks siegt das „Nein“: „Gehen wir!“
Aber mit der Regieanweisung danach öffnet Beckett wieder das „Ja“. – Sie rühren sich nicht von der Stelle –  Sie bleiben und warten weiter.
„Warten auf Godot“ ist Becketts zähe Auseinandersetzung mit Zweifel und einer Hoffnung. Die ist klein, aber wohl ernst gemeint. „Wenn ich es wüsste … “  
Erst das 20. Jahrhundert konnte zugeben, dass wir nichts wissen können, bis jeder die Grenze selbst überschritten hat.
Der gelassene Philosoph Karl POPPER (–bis 1994) begründete wissenschaftlich, dass alle unsere Erkenntnisse nie die letztlich richtigen sein werden; sie können nur falsifiziert werden, und dann treten bessere oder andere an ihre Stelle. Das richtige Ganze bleibt uns unzugänglich.
Warum sich dann mit den Fragen des Unerfahrbaren so abmühen, wie Beckett es nicht lassen kann?
Wir müssen warten lernen, bis jeder die Grenze selbst überschritten hat.